Mit einer Workation mein Globetrotter-Gen ausleben und meine Kreativ-Akkus aufladen – diesen Plan habe ich im Oktober 2023 wahrgemacht. Warum ich dafür nach Granada gefahren bin und welche Eindrücke ich von dort mitgebracht habe.
On the road again
Über Paris und Barcelona nach Granada: Vor dem Fenster zieht Europa an mir vorbei. In der Steppe Südspaniens fühle ich mich wie Captain Janeway auf Außenmission zu einem fernen Planeten. Der Zug kurvt durch von Olivenplantagen durchzogene Hügel, als kurz vor Granada eine Kundin anruft. Sie bräuchten dringend eine erste Landing Page für den Go-Live direkt vor der Messe, ob ich die irgendwie in den nächsten drei Tagen texten könnte? Beinahe am Südzipfel Europas bin ich dank Roaming gleichzeitig im Büro. Ich bin glücklich – genieße das Unterwegssein, bin gespannt, welche Begegnungen es mit sich bringt und freue mich auf den Perspektivwechsel, der die Ideenquelle speist.
Die Granatapfelstadt
Granada, die Rote, trägt den Granatapfel im Stadtwappen. Er prangt auch auf T-Shirts, Postkarten und Krimskrams in den vielen Souvenirläden. Die Omnipräsenz des Granatapfels war mir neu, doch die andalusische Stadt steht schon lange auf meiner Bucket List. Aus vielerlei Gründen, allen voran der klangvolle Name. Granada liegt direkt an den Bergen der Sierra Nevada und steckt voller Geschichte und Architektur. Die orientalisch geprägte Stadt ist alt und jung zugleich. Sie ist jung, denn ihre Universität gilt als eine der größten Spaniens, weshalb hier viele Studentinnen und Studenten leben. Gleichzeitig ist sie eine gut erhaltene Zeitzeugin: Nach der „Reconquista“ (Wiedereroberung) im 12. und 13. Jahrhundert, bei der die Araber aus weiten Teilen Spaniens vertrieben wurden, blieb nur das Emirat Granada moslemisch. Der Emir ließ Granada zur Festung ausbauen, kapitulierte jedoch schließlich Anfang 1492 und überreichte die Torschlüssel von Granada an das katholische Königspaar Isabella und Ferdinand.
Meine täglichen Spaziergänge durch die Altstadt gleichen einer Wundertüte. Hinter beinahe jeder Biegung wartet eine Entdeckung – Gewürzläden, maurische Paläste (oft gesäumt von chinesischen Reisegruppen), enge Kopfsteinpflaster-Gassen (durch die sich Menschen, internationale Reisegruppen und oft auch Autos drängen), geschmückte Passionsaltäre, einladende Cafés, schattige Innenhöfe. Dazu zahllose Bars und Restaurants. In Granada bekommt man dort noch vor dem Bier einen Teller mit kostenlosen Tapas serviert. Damit ist die Stadt ein Eldorado für Barhopper. Sie ist auch ein Eldorado für Keramikfans. Die Straßenschilder bestehen genauso aus Keramik wie die Fassaden-Dekoration vieler Häuser und Innenhöfe. Dahinter steckt eine alte Töpfertradition genannt Fajalauza-Keramik.
Wer Granada sagt, muss auch Alhambra sagen. Die maurische Palaststadt ist riesig, ihre architektonischen Feinheiten sind märchenhaft. Und überall ist Wasser, es war und ist der Schatz Andalusiens. Auch die vermeintlichen „Backöfen“ in den mittelalterlichen Gassen der Altstadt im Stadtviertel Albaicín sind Auslässe des von den Mauren angelegten Wassersystems, das wohl heute noch ein Drittel der Wasserversorgung Granadas ausmacht.
Schwein gehabt mit der Unterkunft
In Granada wohne ich in einem privaten Bed & Breakfast. Es liegt neben dem höchsten Aussichtspunkt der Stadt. Hier oben weht auch an heißen Tagen ein angenehmer Wind und der Blick über die Stadt und die Berge ist phänomenal. Zu Fuß brauche ich 10 Minuten in den nächsten und gleichzeitig ältestesten Stadtteil Albaicín – ein Gewirr von Gassen und Gässchen, manche kaum einen Meter breit. Der Rückweg auf den Berg ist mein tägliches Sportprogramm. Beim Aufstieg begleitet mich die hinter der Alhambra untergehende Sonne – ein so märchenhaftes Bild, das es gemalt kitschig wirken würde.
Für noch mehr Sport gibt es einen Nachbarschaftspool: Ein Freibad, in dem außer mir im Oktober niemand mehr zu schwimmen scheint.
Doch das Allerbeste an meiner Unterkunft ist Paola, die Gastgeberin. Im Lauf der drei Wochen wandern wir zusammen in der Sierra Nevada, besuchen ein Konzert, gehen mit ihren Freundinnen essen und abends aus. Paola vermietet noch ein zweites Gästezimmer und so habe ich ab und zu Gesellschaft beim Frühstück. Von Romy und Jean aus Paris, Mike und Nancy aus Calgary, Vicky aus London und Jeanette aus Brüssel. Wir sitzen gemeinsam am runden Mosaiktisch auf der Terrasse, plaudern über Granada und lassen uns dabei das andalusische Pan con Tomate mit Olivenöl, Oregano und isländischem Rauchsalz schmecken. Während die anderen danach in der Regel direkt auf Erkundungstour durch die Stadt starten, setze ich mich mit meinem Rechner wieder an den Tisch auf der Terrasse. Die Arbeit geht mir hier besonders leicht von der Hand, ohne sonstige Verpflichtungen und beflügelt von der Aussicht, selbst im Lauf des Tages wieder einen kleinen oder größeren Ausflug zu unternehmen. Auch die eilige Landingpage-Anfrage vom Tag meiner Ankunft ist längst erledigt.
Einmal steige ich in der Mittagspause für ein Picknick auf den bewaldeten Hügel hinter dem Haus, als ich mitten im Wald ein Schwein treffe. Ich erzähle Paola von der Begegnung und sie meint nur „Jaja, das gehört einem der Aussteiger, die dort leben“.
Sich verlaufen und neu finden
Wie Alice im Wunderland verlaufe ich mich immer wieder im Gewirr von Granadas Gassen. Doch ich treffe weder weiße Kaninchen noch Herzköniginnen, dafür außer dem Schwein vor allem Menschen aus aller Welt und eine Flamenco-Tänzerin. Habe ich ein Ziel, gelange ich auch hin – oft auf verschlungenen Wegen. Paolas Haus liegt am Berg, neben der Kirche San Miguel Alto, von der aus sich die gesamte Stadt überblicken lässt. Es ist der am höchsten gelegene Mirador (Aussichtspunkt) in Granada und mein leicht auszumachender Fixstern.
Am spanischen Nationalfeiertag ist die Innenstadt ein Menschengewimmel und ich will stattdessen zum Sacromonte, dem heiligen Berg. Dort gibt es traditionelle Wohnhöhlen und mich interessiert das dazugehörige Museo de Cuevas del Sacromonte. Um die Stadt zu meiden, versuche ich es über die Staubpiste hinter dem Haus. Laut GPS soll ich das Museum so in nur 15 Minuten erreichen. Doch ich brauche eine Stunde länger, weil ich zwar das umzäunte Freilichtmuseum, aber keinen Eingang finde. So steige ich durch ein Loch im Zaun in einen menschenleeren Park, klettere mit zwei jungen spanischen Pärchen über eine Mauer wieder hinaus und gebe Pippin recht: Short cuts make long delays. Doch ich bin nicht in Eile, ich bin unterwegs. Ganz anders als zuhause im Alltag, wo ich meine Wege kenne und mir nicht die Freiheit nehme, mich treiben zu lassen und auf Entdeckungstour zu gehen.
Eine Reise ist auch eine Standortbestimmung. Meine Umgebung ist neu und färbt auf mich ab, lässt mich leuchten. Statt Alltagsaufgaben poppen Ideen auf und ich denke über grundsätzliche Fragen nach. Wohin geht meine berufliche Reise? Was kann bleiben, was darf weg? Wovon möchte ich mehr?
Auch in Granada ist inzwischen nieseliger Herbst und ich steige wieder in den Zug, diesmal geht es über Madrid, Barcelona, Perpignan und Paris nach Hause. Sobald der Zug sich bewegt, ist alles
gut. Im Nachtzug von Perpignan nach Paris hätte ich auf der Heimfahrt bestimmt besser geschlafen, wenn er sich bewegt hätte. Doch er bleibt nach rund 60 Kilometern in Narbonne stehen und am
nächsten Morgen heißt es lapidar „bitte aussteigen“. Wie kommen wir Passagiere jetzt nach Paris? Zum Kopfschütteln bleibt nur ein Moment. Im Schlafwagen habe ich mich mit einer fünfköpfigen
deutsch-französischen Familie angefreundet und so recherchieren Mama Delphine und ich in der Früh, wie wir von Narbonne noch an diesem Tag und trotz überbuchter Züge nach Deutschland kommen. Wir
lernen noch Monique aus Paris kennen und gemeinsam stehen wir zu siebt sieben Stunden mit vielen anderen Menschen im Bordbistro eines TGV (wo die Kinder Rätselbilder für mich malen und wir uns
mit „ich sehe was, was du nicht siehst“ die Zeit vertreiben) und diskutieren mit dem französischen Schaffner, weil wir keine Reservierung haben. Der zeigt sich schließlich verständnisvoll und
versucht, uns ab Paris einen Anschluss zu organisieren (den wir nicht erreichen, weil sein Zug wegen technischer Probleme nach Paris tuckert, anstatt zu düsen).
Wie gesagt: ich bin gerne in Bewegung und freue mich über die Begegnungen, die das Unterwegssein mit sich bringt. Leben mit Vollkasko-Rundumschutz wäre komfortabel, aber langweilig. Deshalb wird aus mir keine Pauschalreisende. Denn da liefe womöglich alles nach Katalogbeschreibung, aber die Überraschungen blieben auf der Strecke.
Dieser Blogbeitrag ist für Andrea, die Granada auch auf ihrer Bucket List hat😊
Text und Fotos: Peggy Wandel
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