Durch die kleine aber fein sortierte Bücherei bei uns am Ort zu stöbern, gehört zu meinen Lieblingsritualen. Denn seit ich lesen kann, muss ich einfach lesen. Und wenn mich etwas Neues interessiert, was sehr oft vorkommt, besorge ich mir (mindestens) ein Buch darüber. Manchmal zweifle ich an der Sinnhaftigkeit, ein Buch über Häkeln, Schreinern oder Westernreiten zu lesen, anstatt einfach loszuhäkeln, zu sägen oder aufs Pferd zu steigen – aber diese theoretische Annäherung liegt wohl in meiner Natur.
Wie jetzt, ich verschlinge ein Sachbuch?
Letztens auf meinem Streifzug durch die Bücherei fiel mir ein Buch über Kreativität ins Auge. Ein 352 starkes Sachbuch. Als Texterin lese ich regelmäßig Sachbücher über Kreativität, übers Texten und Storytelling – und obwohl die meisten davon nur so voll praktischer Einsichten sprudeln, verstauben sie nach einigen Kapiteln oft auf meinem Couchtisch. Denn sie konkurrieren mit all der zwischen Buchdeckel gepressten Belletristik, in die ich abtauche wie in fremde Welten. Sachbücher haben es daneben deshalb schwer, weil der kleine Kobold in meinem Kopf genau weiß, dass ich sie lesen sollte. Melanie Raabes Buch über Kreativität habe ich dagegen innerhalb weniger Tage durchgelesen. Denn obwohl mir einiges darin nicht neu war – vom Pareto-Prinzip bis hin zur 4-Stunden-Woche – verpackt sie es wunderbar leicht und anschaulich. Dabei gelingt der Kölner Autorin das Kunststück, in ihrem Buch locker über Kreativität zu plaudern und dabei in inhaltliche Tiefen vorzudringen.
Buchtipp: „Kreativität – Wie sie uns mutiger, glücklicher und stärker macht“ von Melanie Raabe, erschienen am 02. November 2020 unter der ISBN-Nummer 978-3-442-75892-0.
Eine Art Inhaltsangabe:
Kapitel 1 handelt vom Wesen der Kreativität und davon, wie sie unser Leben bereichern und verschönern kann. Eines meiner Highlights daraus ist der Zusammenhang zwischen Resilienz und Kreativität – in Zeiten persönlicher oder gesellschaftlicher Krisen taugt die schöpferische Kraft in uns als Superpower gegen womöglich aufkommende Ohnmachtsgefühle. Dazu ein Goldstück von einem Zitat: „Kreativer Ausdruck wirkt wie ein Ventil für den Dampfkochtopf.“ Auch schön: Die Ideenliste für heimliche Random Acts of Kindness, zum Beispiel „Setze ein schönes Buch aus. Schreib vorne was Nettes rein und lass es liegen.“
Kapitel 2 hilft herauszufinden, welches kleine Genie in jeder und jedem von uns steckt. Zum Beispiel, indem man sich die richtigen Fragen stellt, um dem eigenen Talent auf die Spur zu kommen. Solche Fragen liefert das Buch, dazu Tricks um Anzufangen, den eigenen Stil zu entwickeln und sich gegen Ausreden zu wappnen. Dazu gehören komplett ungewöhnliche und scheinbar verrückte Tipps – aber ich will nicht zu viel verraten.
Kapitel 3 weist den Weg in ein kreatives Leben. Das Herz eines Blauwals ist ungefähr so groß wie ein Kleinwagen. Eine beeindruckende Tatsache und ein Beispiel dafür, dass wir nie zu erwachsen werden sollten für die Wunder um uns herum. Da sich Ideenfindung trainieren lasse wie ein Muskel, gibt es im Buch reichlich Stoff fürs kreative Fitnessprogramm. So wie wir die Treppe statt den Aufzug nehmen, können wir im Alltag öfter mal den Autopiloten ausschalten – und dadurch Ideen, Denkanstöße, Bilder und Gesprächsfetzen bewusst aufschnappen und festhalten. Die Autorin liefert Fragen und Aufgaben, die helfen können, der eigenen Inspiration Feenflügel zu verleihen.
"Das Herz eines Blauwals ist ungefähr so groß wie ein Kleinwagen."
Kapitel 4 schaut auf typische Kreativitätsblockaden wie Angst, falsche Erwartungen oder das unsägliche Vergleichen mit anderen. Wie lässt sich damit umgehen? Ein schöner Tipp ist das emotionale First-Aid-Kit, in das Raabe inspirierende Zitate, Schokolade sowie eine Liste lieber Freundinnen packen würde, die sie im Notfall aufpäppeln. Dazu passt der Ordner „Lob“, den ich mir vor Jahren in meinem E-Mailprogramm angelegt habe und in dem ich nette Mails ablege, als Bonbons gegen harsche Kritik oder Selbstzweifel.
Kapitel 5 handelt von kreativem Wachstum, davon Neues zu wagen und dazuzulernen. Dabei geht es auch um die richtige Balance und wie schön es ist, einen „Stamm“
Gleichgesinnter zu finden, mit denen man sich gegenseitig austauschen und anfeuern kann.
Kapitel 6 liefert Werkzeuge für alle, die ihr Hobby zum Beruf machen wollen. Und Denkanstöße dazu, ob das überhaupt eine gute Idee ist. Auch hier hält Melanie
Raabe praktische Tipps bereit und warnt vor typischen Anfangsfehlern, wie zum Beispiel dem Irrtum, Brutto mit Netto zu verwechseln.
Kapitel 7 erzählt von Krisen als Kreativitätskatalysatoren und von kreativen Durchbrüchen, die unseren Alltag bevölkern: wie Zahnbürste, Laptop, USB-Stick oder Rollkoffer. Die Ideen dafür entstanden oft, weil sich jemand über den herrschenden Zustand ärgerte und diesen ändern wollte – nach dem Motto „Scratch your own itch“. Ergo: Die Möglichkeiten für Erfindungen sind unendlich. Also lasst uns loslegen und kreativ sein.
Fazit: Das Buch von Melanie Raabe steckt voller Denkanstöße, zum Beispiel dem, seine liebsten Inspirations- und Zufluchtsorte aufzulisten. Bei mir gehört die Stadtbücherei auf jeden Fall zu den Top Ten. Ihr verdanke ich viele spannende Begegnungen – zum Beispiel die mit diesem Buch.
7 Ideen für Kreativität
Hier noch sieben meiner Lieblingstipps und Gedanken aus Melanie Raabes Buch:
1. Der emotionale Erste-Hilfe-Kasten für kreative (und sonstige) Krisen
2. Kreativität als Schöpfungskraft zu begreifen, mit der wir unsere eigene Welt gestalten können (und wenn sie mögen, auch die Welt anderer)
3. Eine Liste mit Ideen für Kreativität im Alltag erstellen, von Wolkeninterpretation bis hin zu Gärtnern und Singen
4. Bei Ideen ruhig auf Quantität setzen (und erst später nach Qualität schauen)
5. Regelmäßige Künstlertreffs und Kreativzeiten mit sich selbst vereinbaren (eine schöne Erinnerung an „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron)
6. Routine und Rituale können ein Booster für Kreativität sein
7. Jahresend- und Jahresanfangsbrief schreiben. Eine Idee, die ich schon von Johnny Cash abgeschaut habe und die Melanie Raabe zelebriert, ist das Ritual, an
Silvester einen Brief an sich selbst zu schreiben, um über die Jahre das eigene Wachstum zu verfolgen. Leitfragen dafür: Was ist in diesem Jahr in meiner und generell in der Welt passiert? Was
habe ich gelernt und gut gemacht? Was würde ich gerne besser machen? Was sind meine Hoffnungen und Wünsche für das kommende Jahr?
Lust zum Weiterlesen?
Es gibt viele Bücher über Kreativität. Hier sind drei, die ich liebe und seit Jahren immer wieder zur Hand nehme:
• How to Make a Journal of Your Life – Dan Price
• Living out Loud (Activities to Fuel a Creative Life) – Keri Smith
• Steal like an Artist – Austin Kleon
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